Unter den letzten Gästen von Marc Bolan: „Tulane“ öffnet nun auch die Türen zu TV- und Radio-Studios (1977/II)

Mit „Tulane“ als Song in den Top Twenty der Charts löste man auch die Eintrittskarte zu diversen Fernsehauftritten und Live-Auftritten im Radio.

John Peel Sessions zum Auftakt

Allerdings konnte die Band schon vor diesem Hit Erfahrungen mit Rundfunkauftritten  sammeln, indem sie bei den John Peel Sessions auftrat.

Diese Sendereihe hatte ihren Hintergrund in den Besonderheiten des britischen Gewerkschaftssystems. Um den Prozentsatz von Musik, die live im Radio gespielt wurde, hochzuhalten, und so Auftrittsmöglichkeiten für Musiker zu erhalten, hatte die starke Musikergesellschaft nämlich eine Begrenzung der sog. „needle time„, also der Zeit, in der Musik von Schallplatten gespielt werden durfte, durchgesetzt.

Später wurde der Grundsatz, das Radiomusik grundsätzlich live sein sollte, ein Stück weit gelockert. Nun galten vorproduzierte  Studioaufnahmen, die nicht als Tonträger im Handel erhältlich waren, in einem gewissen Umfang ebenfalls als Live-Darbietungen in diesem Sinne.

Die wohl prominenteste Sendung mit solchen live eingespielten Aufnahmen (für die strenge Regeln galten, u.a. gab es ein Auswahlverfahren und die Zeit für den Soundcheck war beschränkt) waren die John Peel-Sessions.

Diese erlaubten es der Steve Gibbons Band noch bevor „Tulane“ in die Charts kam, ihren Bekanntheitsgrad bei den Radiohörern durch drei Auftritte auszubauen.

Dabei spielte sie an folgenden Tagen folgende Lieder:

  • 30.7.1976 (aufgenommen am 07.07.1976: Rollin‘, Tuepelo Mississippi Flash, Johnny Cool, Spark Of Love
  • 03.03.1977 (aufg. 21.02.1977): Right Side of Heaven/Rollin`On, Please Don`t Say Goodbye, One of the Boys
  • 04.07.1977 (26.06.1977) Tulane, The Music Plays On, Gave His Life To Rock ’n Roll, Boppin‘ The Blues

Knackige Biskuites im Radio

Bei den Radiosendungen sind ein von der BBC mitgeschnittener Auftritt im Paris Theatre im Jahr 1976, bei dem man u.a. „Light Up Your Face“ ; „Spark Of Love“, „Johnny Cool“, „Right Side Of Heaven „, „Rollin‘ On“, „Tupelo Mississippi Flash“und  „Rollin´“ zum Besten gab, zu nennen.

Im Frühjahr 1977 stand dann ein einstündiger Auftritt für die berühmte Radiosendung „King Biscuit Flower Hour“ (in der u.a. vorher schon die Rolling Stones, Pink Floyd, John Lennon, The Who, Santana sowie Emerson, Lake & Palmer aufgetreten waren) an.

Bei diesem Gig im Lemoyne College in Syracuse im US-Bundesstaat New York teilte man sich die Sendung und die Bühne mit Dickey Betts & The Southern Greats.

Wie meist machte die Steve Gibbons Band bei diesem Auftritt keine Kompromisse und reizte die Songs jeweils bis in das Letzte aus, so dass sie schon mal um die zehn Minuten dauerten. Geboten wurden Standardstücke aus dem eigenen Repertoire wie „Take Me Home“, „Dick Malone“,„Tupelo Mississippi Flash“ und (natürlich) „Tulane“.

Mitreißender als das letztgenannte Lied kommt jedoch die Version eines weiteren Chuck Berry-Songs, nämlich „Little Queenie“ herüber, in der besonders deutlich wird, welche power das damalige line up der Band hatte. (Auch dieser Auftritt findet sich – vermutlich illegal – in den Weiten des Internets.)

Im TV: Playback bei prominentem Gastgeber und fetzige Live-Performance bei der BBC

Was das Fernsehen anging, gab es sowohl Sendungen, bei denen man vor großem Publikum zu Tonkonserve so tun musste, als würde man spielen, wie Live-Konzertmitschnitte, bei denen richtig die Post abging.

 Unter den letzten Gästen von Mac Bolan

Zur ersten Kategorie gehörte ein Auftritt, der  schon alleine wegen des Gastgebers dazu geführt haben dürfte, dass die Steve Gibbons Band auch von einem Publikum gehört wurde, dass ansonsten weniger mit erdigem Rock am Hut hatte.

Die Rede ist vom Auftritt in der vorletzten Ausgabe der 25-minütigen Music-Show „Marc“. Bei dieser handelte es sich um die Show des T. Rex-Sängers Marc Bolan, der darin auf dem Privatsender ITV hauptsächlich sich selbst und seine Band ins rechte Licht rückte, indem er zum Vollplayback neue Versionen seiner alten Hits und frisch eingespielte Songs mimte.

Dazwischen war jedoch immer noch ein bisschen Platz für angesagte Musikerkollegen, darunter The Jam, Showaddywaddy, Desmond Dekker, die Bay City Rollers, Mud, The Boomtown Rats, Hawkwind, Thin Lizzy und David Bowie. (Mit Bowie sang Bolan übrigens ein Duett, bei dem er von der Bühne fiel.)

Trotz dieser illustren Namen handelte es sich bei der Sendung um eine Low Budget-Produktion.

Die Steve Gibbons Band trat mit “Tulane” in der vorletzten Sendung dieser Show auf.

Viele, die die Steve Gibbons Band vorher live gesehen hatte, werden sich möglicherweise die Augen gerieben haben. Musikalisch war dies unverwechselbar Steve Gibbons und die erste Ausgabe seiner nach ihm selbstbenannten Band. Wer den Fernseher auf stumm schaltete, erkannte die Band aber nur schwer wieder. Bandleader und Musiker waren offensichtlich beim Friseur gewesen, der beim Rasieren und anschließenden Haareschneiden ganze Arbeit geleistet hatte. Und danach schien man zum Herrenausstatter gefahren zu sein.

Vorbei war die Zeit des Western- und Chicago-Gangsterlooks. Das, was man hier sah, dürfte bei einem wesentlich größeren Publikum auf Zustimmung gestossen sein als das vorherige Outfit.

Gesendet wurde dies alles am 14. September 1977. Zwei Tage später war der Gastgeber Marc Bolan tot, gestorben in einem Kleinwagen, der im Londoner Stadtteil Barnes auf der Auffahrt vor einer kleinen Brücke von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt war.

 

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„Schau und Hör“

Ein ganz anderes Format hatte die BBC-Sendereihe „Sight & Sound“ . Wie bei den Rockpalastkonzerten des WDR in Deutschland wurde dabei der Steroton des Konzerts parallel zur Fernsehausstrahlung im Radio gesandt, dass die Zuschauer die Musik auch in Stereo genießen konnten.

Ehrwürdiges Musiktheater

Dabei wurden in dem 1913 erbauten Golders Green Hippodrome im Norden von London mit seinen 3.000 Sitzplätzen in den 1970er Jahren von der BBC Konzerte (u.a. von Queen, Jethro Tull, AC/DC, Gentle Giant, AC/DC, ELO, Barclay James Harvest, The Kinks, UFO, Procol Harum und Roxy Music) aufgezeichnet. ( Inzwischen dient das Gebäude nicht mehr musikalischen Zwecken, sondern religiösen: Ab dem Jahr 2007 wurde es als evangelische Kirche genutzt, seit 2017 beherbergt es ein Islamisches Zentrum.)

Im November 1977 nahm die Steve Gibbons Band in diesem ehrwürdigen Theater ein Konzert mit dreizehn packenden Songs, darunter fünf Coverversionen (Shoping For Clothes, Boppin`The Blues, Tulane, Git It und Day Tripper) auf.

Die Setlist

Die Setlist dieses (in den Weiten des Internets noch aufzufindenden) Gigs bestand aus folgenden Nummern:

  1. One Of The Boys
  2. Johnny Cool
  3. Speed Kills
  4. Shoping For Clothes
  5. Girl (sic!) in the Bunker (Steve kündigt diesen Song mit diesem Titel an. Später auf der Platte sollte er „Down In The Bunker“ heißen.)
  6. No Spittin`On The Bus
  7. Mr. Jones
  8. Boppin`The Blues
  9. Tulane
  10. Git It
  11. He Gave His Life For Rock`n`Roll
  12. Rollin`
  13. Day Tripper

Dargeboten wurden sie von einer Band, die voller Kraft strotzte, obwohl sie sich gerade am Ende einer langen Tournee befand.

Band und Sänger in Bestform

Band und Leadsänger sind hier wiederum im neuen gepflegten Outfit und in Bestform. Gibbons, in einem schwarzen Lederanzug und anders als auf dem Cover der letzten LP bartlos, nimmt das Mikrofon in die Hand und lehnt sich auf den Ständer, um gestenreich und mit ausdrucksstarker Stimme seine Geschichten zu erzählen.

Man denkt: Hier ist ein Schauspieler verloren gegangen! Und wenn man seine Mimik verfolgt, versteht man, warum man statt in der deutschen Sprache statt „Schauspieler“ auch „Mime“ sagen kann.

Steve Gibbons ein potentieller neuer Sänger für The Who?

Dann wieder tänzelt er, schwingt die Hüften, marschiert über die Bühne. Wenn man diese Aufnahmen sieht, könnte man sich Steve Gibbons auch anstelle von Roger Daltrey als Sänger von The Who vorstellen.

Dies wird besonders beim ersten Song „One of The Boys“, der titelgebenden Nummer der eben erschienenen  Solo-LP von Roger Daltrey deutlich, die stimmlich der Daltrey-Version ebenbürdig ist. Und auch die Gestik ähnelt an manchen Stellen, insbesondere wenn er bei den letzten Schlagzeug-Schlägen von Bob Lamb beide Arme nach oben reißt.

„Sänger der Who“ war übrigens eine Position, auf die Gibbons – ebenso wie der Led Zeppelin- Sänger Roger Plant übrigens – durchaus Ambitionen hatte. Dazu erzählt Pete Townsend im Jahr 1990 dem Guitarist magazine in einem Interview :

… There were actually periods when Roger left the group for several weeks and I was The Who’s singer. Robert Plant talks about the fact that when he first saw us I was the singer. He came to see us three nights in a row and offered himself for the job, as did Steve Gibbons when he came to see us and Roger wasn’t there. Obviously none of them thought I was any good!“ .

Bei den Ankündigungen und Einleitungen seiner Songs lässt Gibbons sich auch beim Konzert im Golders Green Hippodrome Zeit. Während ihm die Band in Endlosschleife einen rhythmischen Teppich auslegt, fabuliert er mitunter scheinbar ins Ziellose. Worauf will der bloß hinaus, fragt man sich? Und dann verknüpft er innerhalb eines Satzes das scheinbar Sinnlose mit dem Anfang des Songtextes. Und auf einmal ergibt alles Sinn.

Elvis lässt grüßen

So zum Beispiel bei der Elvis Hommage „Tupelo Mississippi Flash“, bei der er, ganz in schwarz gekleidet, breitbeinig die Hüften schwingt, so dass man meinen könnte, er hätte beim in Grace Land Nachhilfeunterricht genommen.

Viel Raum für die Band

Auch die Band hat viel Raum. Dies nicht nur musikalisch, sondern auch was das Outfit angeht. Eine „Kleiderordnung“ scheint es bei der Steve Gibbons Band nämlich nicht gegeben zu haben.

Trevor Burton etwa trägt schwarzes Leder am Leib, aber auch auf dem Kopf. (So wäre er locker auch als einer der Village People durchgegangen!)

Eher Understatement ist dagegen bei den beiden Gitarristen angesagt. Bob Wilson im über die Hose hängenden T-Shirt sieht so aus, als ginge er eben mal in den Supermarkt, Zigaretten holen. Und sein Kollegen Dave Carrol im weißen Hemd mit hochdünner schwarzer Krawatte, könnte auch ein Büroangesteller sein, der das Jackett für den Weg in die Teeküche mal eben abgelegt hat.

Jeder hat Gelegenheit, Akzente zu setzen und zu zeigen, was er auf seinem Instrument kann. Besonders zur Sache gehen die beiden Leadgitarristen bei dem Song „Rollin`“. Das, was sie hier abliefern hätte auch von Wishbone Ash stammen können.

Schade, dass es diesen Auftritt nicht auf DVD gibt. Hier geht die Post mehr ab als drei Jahre später beim Rockpalast, von dem es ein Video gibt.

Jeder der die Aufzeichnungen dieser Konzerte sieht oder hört wird klar, dass der Schwerpunkt dieser Band bei den Auftritten liegt. Viele Gruppen haben Schwierigkeiten damit, das, was sie im Studio auf Band gebracht haben, live auf die Bühne zu bringen. Die Steve Gibbons Band hat dagegen das Problem, auf ihren Studioaufnahmen rüberzubringen, was sie live können.

Deshalb war es eigentlich ein logischer Schritt, als dritte Langspielplatte eine Live-LP herauszubringen. Bevor wir darauf eingehen sollten wir aber von einer  Zusammenarbeit von Steve Gibbons und Roger Daltrey sprechen, bei der Gibbons „in der selben Liga spielte“, wie Paul McCartney.

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