Im Jahr 2007 feiert Dave Pegg Beck, der mit Steve Gibbons bei The Ugly`s spielte und dann bei der Fairport Convention und Jethro Tull seine Karriere fortsetzte, seinen 60. Geburtstag. Wie zehn Jahre zuvor tat es dies bei einem Konzert mit alten Weggenossen in der Birmingham Town Hall. Mit von der Partie waren etliche, außerhalb Großbritanniens weniger bekannte Musiker, aber auch Ralph McTell (in Deutschland bekannt durch „Streets of London“, an diesem Abend spielt er jedoch „Maddy Dances/London Apprentice“), die Fairport Convention und Jethro Tull.
Anders als bei dem Konzert zum fünfzigsten Geburtstag von Dave Pegg konnte es Steve Gibbons möglich machen, dabei zu sein. Sehr zur Freude von Dave Pegg, der in seiner Autobiographie schreibt:
I couldn`t have celebrated sixty years without a man who`been part so much of it
Ich hätte meine sechzig Jahre nicht feiern können ohne einen Mann, der soviel Teil davon war.
Das Ereignis ist auf der Doppel-CD „60th Birthday bash“ dokumentiert. Diese hat ihren Schwerpunkt im britischen Folk. Vielleicht ist das der Grund, warum Jethro Tull, die ja auch viele Verbindungen in diese Richtung haben, im Gegensatz dazu, bei dieser Gelegenheit mit „Bouree“ und „Locomotive Breath“ ihre klassische und ihre rockige Seite ausspielten. Trotz des umfangreichen und illustren Umfelds schaffte es Steve Gibbons mit seinem Auftritt, der auf der CD als einziger Bonus-Video Track enthalten ist, in besonderer Erinnerung zu bleiben.
„On a wing and a prayer“
Dave Pegg hatte geladen und alle kamen. Allerdings schien die Sache unter keinen guten Stern zu stehen. Das Konzert sollte um 19:30 Uhr beginnen. Erst um 14:30 Uhr konnte man jedoch in der Birmingham Town Hall mit den Vorbereitungen beginnen. Wenig Zeit, vor allem, wenn eine zweistellige Zahl von Musikern auftreten soll.
Deshalb wurde „on a wing and a prayer“ (was soviel heißt wie etwas ohne große Vorbereitung aus der Hüfte zu schießen – und deshalb nicht unbedingt mit einem Erfolg zu rechnen) zu einer oft gebrauchten Redewendung an diesem Nachmittag.
Als es dann losging, machte jedoch alles einen runden Eindruck. Nur bei der Aufnahme gab es technische Probleme, sodass es nicht das gesamte dreistündigen Konzert auf die CD schaffte.
Einer der Höhepunkte des Abends kam gleich zu Beginn: Die Premiere des extra für diesen Anlass geschriebenen „Peggy`s Birthday Song“ von David Hughes, der als „great guitar player, wonderful songwriter and a great smoker“ (phantastischer Gitarrist, wunderbarer Songwriter und großer Raucher) vorgestellt wurde. Dieser Song durchläuft im Schnellzugtempo die Biographie von Dave Pegg. Dort heißt es gleich:
He (Dave Pegg) was playing „Yellow Ribbon“/with little Steve Gibbon(s)/ he was going to be a rocking man/…./he became a Ugly/he wanted to be better than the rest of them together/so he learnt to play the bass on one day
Er (Dave Pegg) spielte „Yellow Ribbon“/mit dem kleinen Steve Gibbon(s)/ er war dabei ein Rockmusiker zu werden/…../er wurde einer von den Ugly`s/ er wollte besser sein als der Rest von ihnen zusammen / deshalb lernte er an einem Tag den Bass zu spielen
Damit war bereits der wichtigtse Wendepunkt in der Karriere von Dave Pegg angesprochen: Der von Steve Gibbons angestossene Wechsel von der Leadgitarre zum Bass, ohne den er nicht Mitglied von The Ugly`s und später von Fairport Convention und Jethro Tull geworden wäre.
Und auch der Auftritt von Steve Gibbons später in der Veranstaltung wurde zu einer Zeitreise zurück zu den musikalischen Anfängen des Jubilars.
The Ugly`s mit einem eigentlich häßlichen Lied
Steve Gibbons wurde nämlich von Dave Pegg und Roger Hill, der damals den begehrten Job an der Gitarre bei den The Ugly`s, für den sich auch Dave Pegg beworben hatte, bekommen hat, unterstützt.
Dave Pegg schreibt zu diesem Auftritt in seinem Begleittext auf der CD:
What I really wanted on it was Steve Gibbons, Roger Hill and EVENTUALLY performing „The Uglys Blues“/This has become the computer playable video clip which ends this set./Was ich unbedingt darauf haben wollte, war, wie Steve Gibbons, Roger Hill und ENDLICH EIN MAL den „Uglys Blues“ spielen, das ist der computerabspielbare Videoclip geworden, der dieses Set beendet.
Entsprechend sentimental beginnt der Auftritt der drei älteren Herrn. Dave Pegg begrüßt seine Mitmusiker herzlich, erzählt nochmals die Geschichte, wie er damals beim Vorspielen als Gitarrist durchgefallen ist und dann von Steve gefragt wurde, ob er nicht die Position des Bassisten übernehmen möchte:
This is the wonderfull Roger Hill. Roger … was the reason that I started playing the bass and stopped playing the guitar. Because years ago when I was about nineteen, I went for an audition with a group called The Ugly`s who were very popular in Birmingham. And Australia, in fact, which is a good combination. They were auditing for a lead guitarist and I went along. Roger was in front of me in the queue and I knew that I hadn`t got a chance getting the gig, cause Roger obvioisely got it because he is fab.
Dies ist der wunderbare Roger Hill. Roger … war der Grund dafür, dass ich angefangen habe, Bass zu spielen, und aufgehört habe, Gitarre zu spielen. Denn vor Jahren, als ich ungefähr neunzehn Jahre alt war, ging ich zu einem Vorspielen bei einer Gruppe namens The Ugly`s, die in Birmingham sehr beliebt waren. Und in Australien, was eigentlich eine gute Kombination ist. Sie suchten einen Lead-Gitarristen und ich ging hin. Roger stand vor mir in der Schlange, und ich wusste, dass ich keine Chance hatte, den Job zu bekommen, weil Roger das Rennen machen würde, weil er fabelhaft ist.
Dann erzählt er weiter, dass ihn Steve Gibbons damals gefragt hatte, ob nicht den Bass übernehmen wollte. Außerdem berichtet er nochmals davon, dass er sich seinen ersten Bass vom scheidenden Bassisten John Hustwaye der Ugly`s für 80 £ kaufte. Das Ganze gipfelt in dem Lob:
So I owe Steve and Roger an awfull lot, but I am not gonna give them any money for coming tonight.
Ich schulde Steve und Roger also sehr viel, aber ich werde ihnen trotzdem nichts zahlen dafür, dass sie heute Abend gekommen sind.
Man scherzt, man nimmt sich den Arm, dann geht es jedoch los. Auch Steve Gibbons hängt sich eine Gitarre um.
Der Song, den man zum Besten geben möchte, ist die B- Seite der damals in Australien sehr erfolgreichen Single „Wake Up Mind“, der „Ugly-Blues“.
Dieser ist, trotz seines Namens, kein Blues, sondern eine Countrynummer. Textlich ist er allerdings eher eine bedenkliche Sache. Es handelt sich nämlich um ein Spottlied auf die hässlichste Frau der Welt. Im ersten Vers beispielsweise berichtet der Sänger, dass er durch die Fahrprüfung durchgefallen ist, weil abgelenkt worden sei, als er auf der Straße eine Frau mit vermeintlich zwei Köpfen sah. Als er dann aber nochmals hinsah, musste er feststellen, dass das, was er für einen zweiten Kopf gehalten hat, die Nase war.
Eine grenzwertige Geschichte also, wenn man die Maßstäbe der politischen Korrektheit anlegen würde. Das Publikum tut dies jedoch nicht und genießt die Sache ebenso wie die drei alten Herren, die beim Refrain dreistimmig singen.
Ab dem zweiten Vers läuft es weniger flüssig: Steve Gibbons hat den Text vergessen!
Er nimmt die Gitarre ab, grübelt sichtlich, massiert mit beiden Händen seine Stirn. Roger Hill füllt die akustischen Lücken mit kleinen Solos. Dave Pegg grinst amüsiert.
In seiner Autobiographie schreibt er später darüber:
Steve`s amazing: in The Dylan Project he`s do epic songs like „Sad Eyes Lady Of The Lowlands“ and word-for-word recreations of introse … The „Ugly Blues“ is a song he wrote, but on the night it eluded him, slipped right out of his memories. It was hilarious./Steve ist erstaunlich: Beim Dylan Project macht er epische Songs wie „Sad Eyes Lady Of The Lowlands“ und wortwörtliche Wiederholungen von Intros … Der „Ugly Blues“ ist ein Song, den er selbst geschrieben hat, aber an dem Abend war der Text bei ihm wie ausgelöscht, als wäre er aus seiner Erinnerung gerutscht. Es war urkomisch.
Gibbons inszeniert die Suche nach dem Text mit weit ausladende Gestik und improvisiert Textzeilen wie „Lord, Give Me My Memory back“ und Nonsenslyrik mit Anspielungen auf Bob Dylan.
it`s coming/the exhaust is blowing/so is the wind/there is no answer to that
es kommt/ der Auspuff weht/ der Wind weht auch/ darauf gibt es keine Antwort
Außerdem betreibt er öffentlich Selbsthypnose:
just think of something gentle and peaceful and it will come back
Denk` einfach an etwas Sanftes und Friedliches, und es wird zurückkommen.
Als auch das nicht wirkt, macht er einen Schritt hin zu Roger Hill, der ihm den nächsten Vers souffliert. Gibbons lässt sich Zeit damit, diesen zu singen. Er bekommt erst einmal einen Lachanfall mit vollen Körpereinsatz. Dave Pegg, der bei diesem Lied am Bass nicht unbedingt an die Grenzen seines Könnens gehen muss, füllt die Lücke, tritt zum Mikrofon und merkt an:
Have You seen, they never ever ask the bass player for the words?
Habt Ihr gesehen, dass sie nie den Bassisten nach den Worten fragen?
Man fragt sich: Ist das perfektes Improvisationstheater und Stand-Up-Slapstick oder sind das einstudierte Gags?
Jedenfalls ist es unterhaltsam. Gibbons, der sich inzwischen wieder seine Gitarre umgehängt hat, bekommt Lachanfälle mitten im Singen. Nicht nur ihm ging es so. Wiederum Dave Pegg aus seiner, zusammen mit Nigel Schofield verfassten Autobiographie „Off The Pegg“:
He`d kept trying and loosing it. He`d ad lib. He`d tell Roger to play a solo. We all git giggles.
Er hat es immer wieder versucht, aber er hatte es verloren. Er hat improvisierte. Er bat Roger, ein Solo zu spielen. Wir alle haben gekichert.
Aber nicht alle konnten es so entspannt sehen. Dave Pegg weiter in seinem Buch:
Everyone else was panicking because what should have been one short song was stretching on and on. The show was on a tight schedule with so much to squeeze in: people were restricted to one song and asked no to make speeches or do long intros. That spot with Steve went on for something like ten minutes. Backstage Simon Care who had the job of stage managing was pulling his hair out./Alle anderen gerieten in Panik, weil das, was ein kurzes Lied hätte werden sollen, sich immer mehr in die Länge zog. Der Zeitplan für die Show war eng und es war soviel reingepackt: Die Leute waren auf einen Song beschränkt und gebeten worden, keine Reden zu halten oder lange Intros zu machen. Und jetzt dauerte der Spot mit Steve etwa zehn Minuten. Hinter der Bühne riss Simon Care, der die Aufgabe hatte, das Geschehen auf der Bühne zu managen, sich die Haare aus.
Auch Steve Gibbons schien sich bewußt zu sei, dass er eben dabei war, die Veranstaltung aus dem Ruder laufen zu lassen, kann sich aber auch nicht helfen. Als der nächste Vers ansteht, verfällt er wieder in seinen Erzählstil und meint mit einem Bllick auf seine Armbanduhr, deren Ziffernblatt er bei Konzerten auf der Innenseite seines Unterarms trägt, so dass er ohne Umstände die Uhrzeit ablesen kann, während er Gitarre spielt:
There is one more verse, we won`t keep you much longer. This is the best verse.If it would only come back to me, it would bring the place down.
Es gibt noch einen Vers, wir werden Euch also nicht mehr lange aufhalten. Es ist der beste Vers. Wenn er mir wieder einfallen würde, würde er den Ort zum Einsturz bringen.
Pegg sekundiert:
Like fireworks
Der würde abgehen wie Feuerwerk!
Steve singt dann nochmals den ersten Vers und Roger schließt mit einem schnellen Schlussakkord. „Uff! Gerettet“, möchte man sagen. Aber was macht Steve? Er ermahnt Roger weiterzumachen, weil er den Song ordentlich zu Ende bringen möchte.
Dave Pegg nahm die Sache mit Humor:
… you have to see it to appreciate it. The whole gig went well. The audience loved it. …. For me thought, the highlight was the three of us getting back together, the way we were in 1966, in the middle of all these legends of rock and folk, and the whole thing falling apart around us/… man muss es sehen, um es zu verstehen zu können. Das ganze Konzert lief gut. Das Publikum liebte es. ….Für mich aber war der Höhepunkt, als wir drei wieder zusammenkamen, sowie wie im Jahr 1966, und uns inmitten all dieser Rock- und Folk-Legenden die ganze Sache um die Ohren flog.
Dann schließt er:
It was priceless. The best birthday present ever.
Es war unbezahlbar. Das beste Geburtstagsgeschenk, das ich jemals bekommen habe.
Professionalismus auf der Bühne zeigt sich nicht nur dann, wenn alles gut läuft, sondern gerade dann, wenn etwas hakt. Und insbesondere dann, wenn man selbst die Störquelle ist und die Sache dennoch auf unterhaltsame Weise „über die Bühne bringt“.
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